Psychonaut 4 - Beautyfall / სულდაცემა

Psychonaut 4 – Beautyfall

Talheim Records
2020

Psychonaut 4 besitzen aufgrund ihrer georgischen Herkunft einen Sonderstatus und haben sich in dem Zuge auch das Label Post Soviet Black Metal eingehandelt. Entsprechend fällt auch ihre Musik aus: Die Band spielt Depressive Black Metal, aufgelockert durch cleane Gitarren, cleane Vocals, zuweilen rockige Grooves und Sprachsamples. Auch in Bezug auf Texte und Inhalte fallen Psychonaut 4 ein wenig aus der Reihe. Das liegt zum einen an den fast durchgängig in Georgisch gehaltenen Lyrics (kleine Sprachkunde, Georgisch hat überspitzt gesagt mit so ziemlicher keiner anderen Sprachfamilie auf der Welt etwas zu tun und klingt deswegen für „uns“ recht fremd und eigentümlich. Dazu kommen die eigenen, meiner Meinung nach sehr hübschen Schriftzeichen). Diese Texte mäandern zwischen den üblichen Themen Selbstzerstörung, mentale Probleme sowie Alkohol- und Drogenkonsum. Als passende Anekdote saß wohl einer der Gitarristen zur Zeit der Albumaufnahmen wegen Drogenbesitz und -konsum im Gefängnis. Die Band äußert sich dennoch erstaunlich reflektiert dazu: Ihre Musik sei keine Verherrlichung von Drogenkonsum, sondern ist vielmehr therapeutischer Natur, die Hörern (und Musikern) eine Art Katharsis für ein besseres Leben bieten soll. Derartige Äußerungen aus der DSBM-Sparte sind in der Tat selten und unbedingt unterstützenswert.

Aber genug der Vorrede, nun zur Musik: Psychonaut 4 haben sich auf ihren vorangegangenen Veröffentlichungen ein wenig den Ruf einer Lifelover-Gedächtnisband erspielt. Diesen Eindruck bestätigt auch „Beautyfall“ (die Übersetzung des zweiten georgischen Titel ist übrigens „Suldatsema“), auch wenn das hier tatsächlich zu kurz greifen würde. Denn für ein DSBM-Album ist „Beautyfall“ geradezu obszön abwechslungsreich. Dabei schwankt die Grundstimmung zwischen depressiv und melancholisch, die Produktion ist klar, beinahe schon druckvoll, und das Songwriting äußerst vielschichtig. Die Gitarren sind federführend. Mal clean, mal verzerrt, mal ruhig-melodisch, mal melancholisch-depressiv, mal ekstatisch, aber immer bunt, vielseitig und nie langweilig. Der recht präsente, verzerrte Bass und das Schlagzeug bieten ein solides Fundament, das stimmig ist, sich aber auch nicht verkünstelt. Die Vocals sind mal clean, mal typisch hoch kreischend, mal krächzend, mal als eindringliches Sprachsample – aber auch hier gilt: Immer abwechslungsreich. Sie halten den Drive und den Reiz dieses Albums aufrecht und unterstützen die Message der Band in ganz famoser Weise.

Die klassischen, DSBM-typischen schleppenden Mid-Tempo-Passagen werden durch Blasts, groovige Breaks und ruhigere Momente aufgelockert. Letztere beeindrucken durch schön arrangierte Akustikgitarren, dezente Keyboard-Streicher, Saxophone (!) und atmosphärisch-düsteren Sprechgesang. Gerade die gesprochenen Passagen leben von der einzigartigen Rhythmik der georgischen Sprache, die hier fast schon hypnotisch wirkt. Insbesondere der letzte reguläre Song auf dem Album, „Dust, the Enemy“, spielt diese Karte extrem gut aus. Vor allem, weil hier die hypnotischen Aufbauten direkt von treibenden, rockigen Gitarrenriffs und zuweilen fast schon proggigen Rhythmusstrukturen abgelöst werden. Gerade diese Vielschichtigkeit rückt Psychonaut 4 stylistisch in die Nähe von Lifelover, wobei die Georgier trotzdem zu jedem Zeitpunkt eigenständig agieren. Songs wie das zehnminütige „Tbilisian Tragedy“ ziehen dabei alle Register. Dabei haben die Arrangements selten Längen, bleiben immer kurzweilig und dann und wann entwickeln sich auch Gitarrenmelodien und Hooklines, die fast schon Ohrwurmcharakter haben.

Das hohe Niveau von „Tbilisian Tragedy“ oder „Dust, the Enemy“ halten nicht alle Songs durchgängig. Der Klargesang ist hin und wieder etwas schief und unsauber, was zum Beispiel den Einstieg mit dem Opener „One Man’s War“ ein bisschen versaut. Vor allem, weil Psychonaut 4 die Cleans auch richtig gut können: Bei „Tbilisian Tragedy“ kriechen sie dem Hörer eindringlich, emotional und angereichert mit für uns exotischen Tonleitern unter die Haut. Die kleinen Patzer (wie auch das eher unnötige Silencer-Cover am Ende) schmälern aber keinesfalls den großartigen Gesamteindruck von „Beautyfall“ auf Albumlänge. Natürlich gehen die vielfältigen Songstrukturen auf Kosten von atmosphärischer Dichte. Wer im DSBM überlange, hypnotische Ein-Riff-Eskapaden braucht, der wird mit Psychonaut 4 eher weniger glücklich, wer aber vielschichtiges Songwriting auch in atmosphärisch-melancholischer Musik zu schätzen weiß, der bekommt hier ein äußerst stimmiges Gesamtwerk, das seinen Genre-Kollegen trotz kleinerer Mängel in der B-Note ein ums andere Mal den Rang abläuft. Und dabei nach Ansicht des Schreiberlings gerade die oft zitierten Lifelover an Vielseitigkeit und songwriterischem Können um Längen überbietet.

Tracklist
1. One Man’s War
2. Tbilisian Tragedy
3. …and How Are You?
4. Sana Sana Sana, Cura Cura Cura
5. #Tostoreandtouse
6. And Sorrow, Again
7. Dust, the Enemy
8. Sterile Nails and Thunderbowels (Silencer-Cover)

Geschrieben von Jonas am 23. Juni 2021