Casus Belli Musica
☠ 2022 ☠
Es gibt nicht wenige Metal-Kapellen, die mit diesem einem, aber sehr hartnäckigen Problem konfrontiert sind: Sowie sie sich weiterentwickeln und von ihrem Ursprungspfad abweichen, werden sie zunehmend mit Nichtbeachtung gestraft. Ihre Tonträger finden nicht mehr so viele Abnehmer, nicht wenige der einstigen Befürworter ihrer Musik kehren ihnen klammheimlich den Rücken zu. In so einer Lage scheint sich nun auch die Ein-Mann-Institution Zornestrieb mit dem neuen Album „Der Eskapist“ zu befinden. Waren die ersten, noch als Bandgefüge eingespielten Sachen „Kalter Zeiten Ewigkeit“ und „Schattenwelt“ ganz eindeutig auf der pechschwarzen Spur des atmosphärischen Black Metals der 90er unterwegs, so lässt sich seit dem Alleingang des einzig noch verbliebenen und dem Projekt die Treue haltenden Musikers Surtur eine recht deutlich wahrnehmende Abzweigung in Richtung der verspielten und progressiveren Gefilde feststellen. Trotz des vollzogenen Aderlasses ist das Grundgerüst der neuen Scheibe aber nach wie vor durch und durch rabenschwarz, die hier verbratenen Lieder sind lediglich viel ausschweifender und in der Gesamtheit noch weniger geradliniger strukturiert als auf den älteren Aufnahmen. Sie wälzen sich bewusst in ihrer Andersartigkeit, in der scheinbaren Unvollkommenheit, nur um sich mit jeder weiteren Minute, mit jedem weiteren Kunstgriff zu unmissverständlich grandiosen Mustern aus atmosphärischer Melodik und greifbarer, zorniger Intensität zu entwickeln. Die emotionale Ebene wird entsprechend dem Thema dieses von beschwerlicher Lebensreise eines Eskapisten – seit der Geburt, über Glück, Schmerz, Hass, Leid und Erinnerung bis hin zum eigenen, unausweichlichen Tod – erzählenden Konzeptalbums viel stärker ausgelotet, Surturs Stimmgewalt wird theatralischer zum Ausdruck gebracht, es herrscht der Drang, aus dem engen Korsett des üblichen Standards ausbrechen zu müssen. Und der erste richtige Song „Ins Unbekannte“ führt da auch schon alle dafür notwendigen Werkzeuge ins Feld. Behutsames bis wild peitschendes Schlagzeugspiel, seichte Keys, markanter Break, ein einsames Gitarren-Solo zwischendurch, Tempo-Wechsel, dazu mal Klargesang oder Gekreische, also alles, was nur möglich ist… Und dieses abwechslungsreiche, nie langweilende Treiben zieht sich durch das ganze Album hindurch. Doch wodrin mag die Ignoranz seitens der potenziellen Hörerschaft bei diesem Werk begründet sein? An dem Kinderlachen des avantgardistisch anmutenden, ansonsten rein instrumentalen Openers vielleicht? An dem modernen, in dunkelgrün gehaltenen, mit herausstechenden Akzenten aus Weiß und Rot bestechenden Artwork des Albums? Womöglich schreckt das alles für den Ersteindruck Verantwortliche bereits im Vorfeld viele ab, denn im „richtigen“ Black Metal dürfen keine Farben vorhanden und nur Schreie von hilflosen, von Feuer gepeinigten Hexen und ähnliche, dazugehörende Geräusche zu hören sein… Alle Traditionalisten, all die vermeintlich coolen Socken, die schon mit zwölf Jahren Burzum gehört haben und alles, was davon abweicht als untrue und deswegen nicht beachtenswert erachten, werden solch einem Black Metal deshalb sicherlich keine Beachtung schenken. Aber selbst schuld, wenn man sich selbst so limitiert – eine Sichtweise, die bei mir auf Unverständnis stößt. Denn Abwechslung ist – und das in jeder Hinsicht – immer gut, sowohl für körperliche wie auch geistige Belange. Wer selbst dem Eskapismus frönt und/oder mit der modernen Welt hadert (die Thematik lässt sich problemlos auf andere Lebensgeschichten und persönliche Erfahrung adaptieren), der sollte hier definitiv ein Ohr riskieren, denn genau für diese Menschennaturen ist dieses sehr gelungene Album geschrieben!
☠ Tracklist ☠
1. Niederkunft
2. Ins Unbekannte
3. Illusionäre Verkennung
4. Lichtblicke
5. Der Eskapist
6. Erinnerungsschmerz
7. Der letzte Abschied